Jakob Gruchmann
MELANCHOLIE DES ABENDS: Vier Gesänge für Bariton, Violine und Klavier (Text: Georg Trakl)

Stiftung Mozarteum: Dialoge 2016:

MELANCHOLIE DES ABENDS. Gruchmann und Trakl

Von Rainer Lepuschitz

Bei Jakob Gruchmann bekommt nicht nur jedes Wort, sondern auch jede Interpunktion in Georg Trakls Dichtungen Bedeutung für die Vertonung. So machen die Gedankenstriche am Beginn der „Melancholie des Abends“ für Gruchmann „die panische Haltung dieses auf den ersten Blick ,lyrisch’ wirkenden Vierzeilers/Vierstrophers aus – auch am Schluss der abrupte Abbruch ,Es sinkt und steigt des Rohres Regung’.“ Darauf reagiert Gruchmann mit einer Musik, die stetig vorantreibt, die gehetzt ist in „wahnsinniger Panik“.
Den Gedichttitel „Melancholie des Abends“ stellt Gruchmann als Gesamtmotto über einen derzeit aus insgesamt vier Trakl-Gedichten bestehenden Zyklus von Gesängen für Bariton, Violine und Klavier. Es können im Laufe der Jahre noch mehrere Gedichte für diesen Zyklus dazukommen – ein „work in progress“ über gleichbleibende Hauptmotive in den Dichtungen Trakls: Melancholie und Abend. Der Zyklus entsteht in enger Verbindung und Verbundenheit zu einem Liedsänger: dem Bariton Rafael Fingerlos. Vor einigen Jahren hat Fingerlos Gruchmanns „Bildnisse einer verdunkelten Seele“ für Bariton und Klavier über Gedichte von Gruchmanns Schulkollegen Markus Ennsthaller uraufgeführt. 2014 war Rafael Fingerlos dann der erste Sänger von „Grodek“, Gruchmanns im Trakl-Gedenkjahr komponierter „Kriegstrauermusik für Bariton und Orchester“. Und nun wieder Trakl für und mit Rafael Fingerlos. So wie Gruchmann die Stimmungen mit ihren vielen Färbungen und oft Übergängen in Trakls Gedichten erkennt, kennt er auch die Stimme von Fingerlos in all ihren Farben und Nuancen.
Mit Trakl kam Jakob Gruchmann schon als Schüler im Musischen Gymnasium in Salzburg in Berührung. Es wurden Gedichte gelesen. Dann lag im Elternhaus in Hallwang – Gruchmanns Vater ist Deutschlehrer – ein Büchlein mit Trakl-Gedichten. „Ich habe darin gelesen und zuerst nicht wirklich viel damit anfangen können“, erinnert sich der Komponist, „aber dann sind doch so manche Motive im Kopf hängengeblieben, die mir auch immer wieder bei Spaziergängen in Salzburg in den Sinn gekommen sind. Es gibt die Salzburg-bezogenen Motive, wie etwa den St. Peters-Friedhof.“
Als Jakob Gruchmann 2012 einen Kompositionsauftrag zu einem Ensemblestück für das „Aspekte“-Festival in Salzburg zum Thema „Inspiration Webern“ erhielt, ging ihm auch ein Trakl-Gedicht durch den Sinn: „Am Moor“ mit der ersten Halbzeile „Wanderer im schwarzen Wind“. Die drei Gedichtstrophen wurden zur Inspirationsquelle für eine reine Instrumentalmusik und gaben Gruchmann konkrete Anregungen für die Komposition des „Windwanderers“.
Trakl-Gedichte begleiten Jakob Gruchmann mittlerweile durchs Leben. „Ich lese sie auch, wenn ich nicht an das Komponieren denke. Es ist spannend, wenn man Trakls Werk immer besser kennenlernt, die Verbindungen entdeckt, die ähnlichen Motive, die auf ein anderes Gedicht zurückverweisen, aber in nun anderem Zusammenhang stehen.“ Damit spricht Gruchmann Züge an, die Verwandtschaft mit Musik haben, wo auch Motive innerhalb eines Werkes in veränderten Zusammenhängen oder auch in anderen Werken wieder auftauchen und weiterleben. Trakl hat für Gruchmann darüberhinaus „eine sehr musikalische Sprache voll von Farben und Stimmungen. Das lässt sich sehr gut in Musik übertragen.“ So wie Trakl in der Sprache stark mit Naturbildern arbeitet, und sich die Stimmung oft über Wald, Wasser oder Himmelsfarbe mitteilt, haben auch für Gruchmann Strukturen der Natur in der Komposition eine große Bedeutung. Der Musiker liebt die Natur, durch die er gerne wandert und die ihn anspricht – so wie die Naturstimmungen, die er bei Trakl findet.
Nun entstand für den neuen Liederzyklus „Melancholie des Abends“ wieder die direkte Verbindung von Trakl-Gedichten mit Musik. Die Musik kommt über die Gedichte zum Komponisten. „Wenn ich mir die Verse vorstelle und das Gedicht innerlich vorsage, dann entstehen schon Klangfarben im Kopf. Ich stelle mir aber auch schon den Sänger Rafael Fingerlos vor, wie er das interpretieren wird.“
Die Besetzung des neuen Zyklus’ mit Violine und Klavier ergibt ziemlich genaue Zuständigkeiten der Instrumente in der charakteristischen Umsetzung der Gedichte. Die Violine eignet sich für die Stimmungsschwankungen. In der Mehrstimmigkeit des Klaviers liegen die dunkleren Harmonien. Drückt die Violine die Melancholie aus, so das Klavier den Abend, die Nacht. Für die Gesangsstimme vertont Gruchmann den Trakl-Text Zeile für Zeile ohne jegliche Wortwiederholungen. „Trakl, so wie er ist.“ Die Stimme folgt dem Text je nach Ausdruck in kantilenen Phrasen, in stockender oder auch drängender Bewegung.
Das erste Lied, „In ein altes Stammbuch“, geht eher vom Melos aus. Es gibt viele Stimmungsschwankungen. Da erreicht Gruchmanns Komposition aufgrund der von der wohltemperierten Stimmung unabhängigen Violine mikrotonale Bereiche, in denen sich auch Naturtöne befinden. Die Wehmut, die sich durch Gedicht und Lied zieht, geht immer wieder und plötzlich in regungsloses Verharren der Instrumente über.
„Immer wieder kehrst du Melancholie.“ Das in der ersten Zeile des Gedichtes „In ein altes Stammbuch“ formulierte Motiv lässt sich auch durch ein alle Lieder verbindendes, komponiertes Motiv erkennen. „Es wird am Anfang, im ersten Lied, auf gestischer Ebene erkennbar. Melodisch wäre zu viel gesagt, aber es kehrt durch Stimmungszustände und eine gewisse Klangfarbe wieder, in Erinnerungsmomenten, die nicht konkret zu benennen sind, aber aus der Komposition heraus entstehen.“
„Die Nacht der Armen“ ist mehr rhythmisch bestimmt. Die Musik hämmert und klopft. Damit wird ebenso die Angst ausgedrückt wie durch hauchige, extrem schnelle Tonfolgen der Violine. Es entsteht ein Kontrast zwischen den Armen und dem naiv flüsternden Kind. Trotz der Schwere des Schicksals, das unaufhaltsam an die Pforten pocht, ist auch eine innere Unruhe und Hast (besonders in der Violine) zu hören.
Spürte Gruchmann in der „Melancholie des Abends“ die Panik auf, von der Trakls Gedicht innerlich getrieben ist, so versuchte er mit der Komposition von „Nähe des Todes“ in der Musik durch die dicht verwobene Polyphonie immer wieder die im Gedicht veranlagte Erinnerung an die Kindheit, also das Moment der Rückschau durchkommen zu lassen. Choralartige Passagen geben der Musik einen sakralen Anklang.
Ein Schwerpunkt von Gruchmanns Schaffen liegt auf sakraler und auf vokaler Musik. Er wuchs in einer sprichwörtlich musikalischen Familie auf. Auch die Eltern und die Geschwister musizieren. Jakob Gruchmann spielte schon früh Akkordeon, es kamen Horn, Orgel und Klavier hinzu. Im Alter von zehn Jahren komponierte er erste Stücke, mit 16 kam er zum außerordentlichen Studium an das Mozarteum in die Klasse von Ernst Ludwig Leitner. Als Kompositionslehrer folgten am Mozarteum und an der Musikuniversität Graz Alexander Müllenbach bzw. Gerd Kühr, bei dem Gruchmann auch heute noch studiert. Gleichzeitig ist er bereits selber Unterrichtender in einer Kompositionsklasse am Konservatorium Klagenfurt. Einen Meisterkurs besuchte er bei Wolfgang Rihm. Gruchmanns bislang am größten besetzte Werk, das Oratorium „Moses“, erlebte erst unlängst in Salzburg seine Uraufführung.
Für den Komponisten Gruchmann ist das „innere Hören“ entscheidend. „Der letzte Schritt ist dann, dass ich das Gehörte versuche, in Notenlinien zu konkretisieren.“ In seinen Anfängen notierte Gruchmann auch in einer nur ihm vertrauten „Geheimschrift“. Durch die herkömmliche Notation fühlte er sich noch bis vor wenigen Jahren eingeschränkt, „inzwischen steht mir die Notenschrift nicht mehr im Wege.“


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